Ich schlafe schlecht. Ich weiß, dass ich hinter meinem Rücken ausspioniert werde. Sind Detektive im Anmarsch, mit Minispionen, Fotokameras und Funkgeräten? Oder nutzen sie den Bundestrojaner und spähen meinen Computer aus? Was mit einer gesunden Paranoia begonnen hat, weitet sich immer weiter aus. Seit die Finanzbehörden im Jahr 2005 auch die gesetzliche Möglichkeit erhielten, die Kontostammdaten eines Steuerzahlers abzufragen, wache ich Nachts schweißgebadet auf. Verdammter Paragraph 93 AO, fährt es mir durch den Kopf! Sie können, sie dürfen es und sie tun es jetzt! Das Finanzamt fragt meine Kontostammdaten ab!
Und sie tun es immer häufiger. Nach einem Bericht des Magazins Focus ist die Zahl der Abrufe der bundesdeutschen Finanzämter 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 14,8 Prozent auf 31 510 gestiegen. Diese Zahlen habe das Bundesfinanzministerium dem FDP-Abgeordneten Volker Wissing auf Anfrage mitgeteilt.
Die Behörden können nur Stammdaten, keine Kontobewegungen und Salden, erfahren. Doch diese Angaben genügen um „in einer erheblichen Anzahl von Fällen bislang unbekannte Konten und Depots“ festzustellen, schreibt das Finanzministerium auf die Anfrage des Abgeordneten Wissing. Die Zahl tatsächlicher Verstöße gegen Steuer- oder Sozialgesetze läge der Bundesregierung allerdings nicht vor.
Als sich 2006 die Finanzbehörden dazu rüsteten, die technischen Voraussetzungen für eine erhöhte Abfragefrequenz zu schaffen, äußerte Wissing die Befürchtung, dass die Zahl der Abfragen steigen würde. Damals waren nur 100 Abrufe pro Tag möglich gewesen, 5000 sollten es werden. Angesichts dieser technischen Voraussetzung sind die 31 510 Abrufe vergleichsweise gering. Zum Vergleich führt Focus an, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht (BaFin) zum Beispiel schon im Jahr 2005 rund 62 000 Abrufe getätigt hat. Wissing halte die Zunahme der Kontenabfragen deshalb für ein „Misstrauensvotum des Staates gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern“. Denn nichts hindert die Finanzämter daran, das technisch mögliche in Zukunft noch voll auszuschöpfen.
Also werde ich in Zukunft weiter schlecht schlafen. Vielleicht noch schlechter, denn in Zukunft plagt mich das Finanzamt nicht mehr. Ich habe mein ganzes Geld ausgegeben. Den Konsum ankurbeln, das wollte ich und habe es getan. Und weil es Mode ist, habe ich auch noch gleich einen Konsumentenkredit aufgenommen. Für einen neuen Fernseher. Nun schlafe ich schlecht, weil mich die Schulden drücken. Diese sind leider nicht steuerlich absetzbar.