Ich kann es nicht mehr hören. Finanzkrise, Staatsbankrott, Abwrackprämie – alles Schlüsselwörter, die ich tagaus, tagein aus den Medien entnehmen, aber mit denen ich mich auch bei einem gemütlich kaltem Weizen im Biergarten herumschlagen muss. Es scheint keiner mehr ein anderes Thema zu kennen.
Ja, das Geschäftsmodell der Banken ist ins Stocken geraten. Ja, Lieschen Müller vom Mittelstand hat derzeit enorme Probleme, mal geschwind 10 000 Euro überbrückungsdarlehen zu erhalten. Die Banken spielen auf Nummer Sicher und die Kreditschere geht immer weiter auseinander. Während der Zinssatz im Passivgeschäft (gemeint sind damit die Anlagen der Bankkunden in Form von Sparbüchern und Sparverträgen) immer weiter gegen Null strebt, die Zinsen im Aktivgeschäft (Kredite) auf konstant hohem Niveau verbleiben, klettern die Zinsen für kurzfristige überziehungen auf dem Girokonto immer weiter nach oben. Das höhere Ausfallrisiko lassen sich die Banken fürstlich bezahlen. Doch noch fürstlicher als die Gewinnmarge der Kreditschere, noch höher als die Gewinnversprechungen der Anlagenbanken vor dem Platzen der Immobilienblase sind die konstant hohen Renditen im Berech der Mikrokredite. Gemeint sind damit Kleinstkredite in Entwicklungsländern, die normalerweise bei Finanzinvestoren nicht gerade als „sexy“ gelten. Doch das könnte sich ändern. So leihen sich Straßenhändler in Neu-Dehli gerne mal bei einer Microkreditbank 1 500 Rupien für eine Erstausstattung des Ladengeschäftes, für die Erneuerung von Fischernetzen oder zur Anschaffung von Schuhputzwerkzeug. In gängige Währung umgerechnet: 25 Euro. Doch dafür bezahlen die Schuldner Zinssätze von bis zu 27 Prozent!
Und die Schuldner gelten als sehr zuverlässig. Die Kredite werden nach Möglichkeit nur an Frauen vergeben, da diese als zuverlässige Schuldner gelten. Weil die meist mittellosen Geschäftsfrauen keine Sicherheiten bieten können, schließen sich die Geschäftsfrauen mit anderen Frauen ihres Dorfes zusammen und bilden so zusammen eine gemeinsam haftende Kreditnehmereinheit. Der soziale Druck innerhalb der Gruppe verschafft der Bank die Sicherheit.
Die Ausfallquote der Microkredite ist mit ein bis zwei Prozent minimal und das Modell funktioniert. Erfolgreiche Kreditinstitute wie die SKS in Neu-Delhi profitieren in diesen schlechten Zeiten davon, dass das geförderte Kleinstgewerbe den Alltagsbedarf bedient und damit wenig krisenanfällig ist. So ist der hohe Zinssatz auch nicht unbedingt verwerflich, denn wenn der unterstütze Fischer durch neue Netze eine höhere Fangquote erzielen kann, ist das Geschäft für beide Seiten legitim.
Im globalen Investmentgeschäft sind Kleinstdarlehen für die Armen trotz ihres Erfolgs ein Nischenmarkt. Einst war diese Form der Entwicklungshilfe eine Aufgabe wohltätiger Stifter. Heute versuchen sogar die Großen der Bankzunft sowie renditeorientierte Finanzinvestoren in diese Nische zu springen. Bei 27 Prozent Kreditzins ist das nur verständlich. Microkredite sind einfach „sexy“.